Die Leoniden sind vor allem für ihre zahlreichen, legendären Live-Auftritte bekannt – dass diese im letzten Jahr quasi unmöglich waren, hat wahrscheinlich kaum einem/einer Künstler:in so zugesetzt, wie den fünf Jungs aus Kiel. Aber auch, wenn sich die guten Seiten der Pandemie absolut in Grenzen halten, hätte dem dritten Album der Leoniden wohl nichts Besseres passieren können! Denn der Lockdown hat der Band etwas gebracht von dem sie sonst zwischen etlichen Festival- und Konzertterminen, nur sehr wenig haben – Zeit. Und das hört man Complex Happenings Reduced To A Simple Design auch an, nicht nur weil das Album mit 21 Songs das mit Abstand Längste der Band ist, sondern auch, weil die Band sich auf der Platte mehr ausprobiert hat, als je zuvor. Ich habe mit Lennart über die letzten Monate, politische Stellung, balladige Intros und vieles mehr gesprochen! Enjoy!
Hi Lennart, wie geht’s dir heute und wie waren die letzten Monate für dich?
Mir gehts super, ich hoffe dir gehts auch gut! Bei uns hat jetzt gerade endlich wieder die Konzertsaison angefangen nach 18 Monaten, in denen wir nicht gespielt haben, gefühlt war es eine Ewigkeit, aber halt am Ende “nur” 18 Monate. Ich muss auch sagen, jetzt, wo es wieder Konzerte gibt, merkt man auf einmal doppelt und dreifach, was einem da gefehlt hat. Wir hatten ein bisschen Respekt davor, wie diese Corona konformen Konzerte sind, weil für uns Konzerte bedeuten, dass die Leute ausrasten, eng aneinander stehen, tanzen und zum Teil auch übereinander gestapelt sind (lacht). Das steht ja in einem krassen Widerspruch zu den Konzerten, auf denen die Leute mit großem Abstand zueinander sitzen sollen und zum Teil auch gar nicht mitsingen dürfen oder Masken tragen müssen. Ich muss sagen, die Konzerte sind anders, aber trotzdem total cool und schön, es ist total krass, wie man merkt, dass die Menschen, die da kommen, alle so einen riesigen Nachholbedarf haben, das gibt uns auch megaviel Power. Wir sind wirklich mit ein bisschen Respekt und Angst da ran gegangen, es ist nicht selbstverständlich für uns, dass das einfach so funktioniert, aber es funktioniert echt ganz gut. Von den Konzerten waren dann die letzten Wochen tatsächlich auch sehr geprägt, weil wir wirklich viel geprobt haben und uns auch überlegt haben, wie wir eine Show machen, die im Hellen, mit Abstand und so weiter funktionieren kann. Das war ganz witzig, weil wir uns da echt die Beine ausgerissen haben, um das irgendwie möglich zu machen und von Stadt zu Stadt fielen dann peu à peu die Regeln, dann gab es zum Beispiel kein Abstandsverbot mehr, sondern nur noch ein Abstandsgebot, mit jedem Anruf haben wir dann das Set immer weiter normalisiert. Mittlerweile tanzen die Leute auch und größtenteils funktioniert alles ganz normal. Das krasseste war dann, dass wir vor ungefähr zwei Wochen dieses Modellprojekt von der Uni Heidelberg spielen durften, wo die Leute dann wirklich zu einem ganz normalen Konzert kommen konnten. Es war unglaublich, was da für eine Stimmung war. Es gab immer zwei Szenarien, entweder wir gehen auf die Bühne und es klappt nicht mehr (lacht), davor hatten wir so ein bisschen Angst, oder es passiert genau das Gegenteil und alle rasten aus, weil der Bedarf so groß ist. Zum Glück ist das zweite Szenario eingetreten, jedes Konzert fühlt sich an wie ein Wiedersehen nach ganz langer Zeit, was es dann ja tatsächlich auch ist. Für uns ist so heftig, weil wir merken, auf was wir da eigentlich die letzten anderthalb Jahre die ganze Zeit verzichtet haben. Also um das ganz klar zu sagen, es ist gut, dass wir drauf verzichtet haben, das musste sein. Aber jetzt, wo man merkt, was einem da gefehlt hat, gibt es einem noch mal einen Tritt in die Magengrube.
Wie ist das für dich persönlich? Du bist ja der, der auf der Bühne wahrscheinlich am meisten abgeht. Ist das jetzt wieder genau so wie vorher, oder musstest du erst mal ins Fitnessstudio?
Ne, es ist alles wie immer, ich kann das nicht anders beantworten. Es ist einfach so, als wären wir nie weg gewesen. Es ist krass, wie doll dieser Autopilot übernimmt, ich hatte wirklich Sorge, dass wir diese Routine nicht mehr haben, dass wir völlig erschöpft sind und Sachen nicht klappen. Wir hatten ja wirklich drei bis vier Jahre hintereinander jeweils 100 Konzerte im Jahr, da hat man natürlich eine Routine, ich hatte Angst, dass das nicht wieder da ist, aber es ist wirklich wie Fahrrad fahren und ich freue mich jede Sekunde daran. Es wäre, glaube ich gar nicht gut fürs Konzert, wenn alle permanent überlegen, was sie da machen, für uns ist es wirklich Autopilot an und alles ist wie immer und das ist das beste, was passieren kann. Also Autopilot klingt nicht gut, aber man erinnert sich an ganz vielen Stellen im Konzert, dass es alles andere als selbstverständlich ist, was gerade passiert. Es ist generell total gut, dass man diese Demut dafür hat, dass vor der Bühne Leute stehen und wir auf der Bühne stehen dürfen, es ist total schön, noch mal daran erinnert zu werden, dass das nicht selbstverständlich ist. Aber das Konzert spielen, diese ganzen Abläufe, das ist dann doch in einer guten Routine, die ganz viel Sicherheit gibt.
Euer drittes Album Complex Happenings Reduced To A Simple Design erscheint am 20.08., seid ihr noch genauso aufgeregt, wie bei den ersten beiden Alben, oder hat sich das auch langsam irgendwie routiniert?
Ne, das hat sich nicht routiniert! Aber auch, weil es ja jedes Mal was ganz anderes ist. Bei dem Debütalbum hatten wir im Grunde nichts zu verlieren, bei dem zweiten Album war alles auf einmal wesentlich größer und professioneller, das war dadurch total aufregend. Die ersten beiden Alben haben wir eigentlich immer zwischen den Touren und den Konzerten, unter hohem Zeitdruck und Stress geschrieben, weil wir permanent unterwegs waren und immer nur für ein paar Tage zu Hause waren oder teilweise auch im Tourbus geschrieben haben. Für dieses Album hatten wir total lange Zeit, es gab ja auch immer mehr Zeit (lacht). Eigentlich hatten wir gedacht, dass wir das Album Anfang 2020 schreiben und haben uns dafür ein paar Monate freigenommen, aber wie wir alle wissen, wurden daraus dann halt diese 18 Monate und die haben wir dann auch genutzt. Dadurch ist es wirklich ein Album geworden, was sich schon doll von den anderen Beiden abhebt. Es klingt super hohl und doof, aber diese Coronapause ist das Beste, was dem Album passieren konnte, dadurch hatten wir die Zeit und die Geduld, um wirklich eineinhalb Jahre an einem Album zu arbeiten. Allein den Aufnahmeprozess konnten wir in einer Ausführlichkeit ohne Limits machen, wir haben alles 100 Mal auf links gedreht und noch mal ausprobiert und verworfen und neu angefangen und sind immer wieder ins Studio gefahren. Das Album wurde ja auch immer länger (lacht). Ich bin wirklich sehr aufgeregt, aber alle anderen auch, weil es uns an vielen Ecken von einer ganz anderen Seite zeigt, da hatten wir bei den ersten beiden Alben nicht die Geduld und den Platz für.
Der Opener der Platte hat ja so weit ich weiß, überhaupt nichts mit der Pandemie oder so zu tun, aber trotzdem gibt es mit Zeilen wie „been waiting for months“ oder „stuck on repeat“, Stellen, die man auf die Lockdownzeit beziehen kann. Du hast es ja gerade schon so ein bisschen beantwortet, aber vielleicht magst du noch was dazu sagen, wie sehr die Pandemie im Endeffekt den Albumprozess beeinflusst hat.
Tatsächlich mussten wir ein Mal einen Studiotermin absagen, das war kurz stressig, aber den konnten wir dann ein paar Wochen später nachholen. Das war ganz am Anfang, als noch niemand so genau wusste, wie man sich jetzt verhält. Aber ansonsten muss ich sagen, hat das Album davon nur profitiert, weil wir wirklich einfach Zeit hatten und ganz offen das Album schreiben, ergänzen und kritisch hinterfragen konnten. Es gab halt keine Deadlines. Jede:r der/die mal eine Hausarbeit schreiben muss, weiß, dass das auch ein Problem sein kann (lacht), das ging uns schon auch so, wir haben teilweise extrem häufig Sachen neu gemischt, irgendwann wird man spleenig und neurotisch und verliert sich, die Phase hatten wir auch, aber wir hatten sogar so viel Zeit, dass wir das am Ende wieder ausbügeln konnten. Ich muss sagen, die Schreib-, Produzier- und Aufnahmephase war von einer Ruhe und Geduld geprägt, das hatten wir noch nie! Vor allem auch die beiden, mit denen wir das produziert haben, hatten auch durch die Pandemie ganz viele Absagen, dadurch hatten auch die viel Zeit. Wenn wir einen Chor aufnehmen wollten, konnten wir einen Chor aufnehmen, wenn wir Bläser aufnehmen wollten, haben wir Bläser aufgenommen, brauchten wir ein Orchester, dann haben wir es geschafft, irgendwie ein Orchester zusammenzutrommeln. Das sind Sachen, die du bei einer normalen Aufnahme nicht machen, weil es zum Einen auf die Kürze selten organisierbar ist und zum anderen auch eine Kostenfrage ist. Kosten waren so eine Sache, dadurch, dass das Album so lang geworden ist, haben wir auch teilweise wahnsinnig viel Geld ausgegeben, aber wir konnten halt auch viel improvisieren. Die Pandemie hat uns als Band ordentlich reingehauen, vor allem weil mit den Touren das wichtigste für uns ausgefallen ist, aber dem Album hat es echt gutgetan!
Auch im Track New 68 geht es ja um die anhaltend negative Nachrichtenlage und darum, trotzdem die Hoffnung zu bewahren- wie wichtig ist es euch auch mit der Musik politisch Stellung zu beziehen?
Das ist eine gute Frage, also wir sind alle politische Menschen, keine Frage. Auf den ersten beiden Alben waren wir immer ein bisschen scheu, das so deutlich in die Musik zu packen, aber in New 68 sind wir, glaube ich, mal einen Ticken deutlicher geworden. Das war auch eine bewusste Entscheidung, wir haben lange daran gearbeitet, da den richtigen Ton zu treffen, das ist immer sehr schwer. Du willst hochkomplexe, philosophische, richtig schwierige politische Themen in ein
3:30-Minuten Lied packen, oder meinetwegen auch in ein sechs-Minuten-Poplied mit Refrains und Strophen. Wenn man ehrlich ist, ist das überhaupt nicht das richtige Medium dafür, dafür schreibt man Abhandlungen oder begibt sich auf Panels. Da hatten wir immer einen großen Respekt vor, man transportiert ja eher Gefühle in Songs. Bei New 68 haben wir es dann mal versucht, wir haben lange dran gefeilt und sind auch sehr zufrieden, dass wir am Ende unserer Meinung nach den Spagat zwischen politischem Inhalt und den Gefühlen, die dahinter stehen, geschafft haben. Da geht es halt viel um Bewegungen, auf die Straße gehen und darum, dass sich junge Menschen zum Glück wieder politisch beteiligen und sich eine Stimme verschaffen.
Ich muss sagen, dass ihr meiner Meinung nach auf diesem Album die Stimmung eines Leonidenkonzerts so gut eingefangen habt wie auf keinem anderen. Das kommt vor allem auch durch die Stücke Complex Happenings I-III, die sehr an die „Jam Sessions“ auf euren Konzerten erinnern. Wie kam es zu der Entscheidung, dass ihr zum ersten Mal instrumentale Tracks mit aufs Album nehmt?
Wir hatten da einfach total Bock drauf, das mit auf die Platte zu bringen. Aber es eignet sich nicht aus allem, was man so schreibt ein ganzes Lied zu machen. Aber es sind ja auch wir, das war uns irgendwie wichtig. Es hat sich so ergeben, aber wir fanden es auch reizvoll, dass die ganze Platte nicht so Minimalismusgetrieben wird, sondern wir wollten in aller Ausführlichkeit alles, was wir gerade geil finden, da rauf bringen und das gehört halt einfach dazu. Es kann gut sein, dass wir das nicht gemacht hätten, wenn wir parallel dazu lauf Tour gewesen wären und diese Riffs, die es ja teilweise nur sind, live irgendwo untergebracht hätten. Aber da konnten wir nicht und daher hat sich irgendwann dieses Konzept ergeben, dass wir diese fünf kleineren Stücke mit drauf gepackt haben. Es hat sich auch in der Dramaturgie des Albums gut angefühlt, dass es so ähnlich wie bei den Konzerten, manchmal Inseln gibt, damit es nicht so überfrachtet ist. Die Lieder haben ja auch eine gewisse Spannungskurve und es kam uns einfach sehr richtig vor, dass man da so Inseln rein baut, damit es am Ende besser aufgeht.
Als Blue Hour raus kam, dachte ich kurz, dass jetzt zum ersten Mal ein langsamer Leonidensong erschient, aber auch dieser Song hat, trotz der schwere seines Themas, ein gewisses Tempo. Sind Balladen nicht so euer Ding, oder warum gibt es bisher keinen Song, bei dem auf einem Konzert alle ihre Feuerzeuge zücken würden? Ich kann mich dran erinnern, dass ihr in Kassel mal The Tired in dieser Form gespielt habt, aber so was gibt es ja als Studioform gar nicht.
Ein bisschen ist ja das Intro der Platte so, das ist das, was da am ehesten ran kommt. Ich weiß nicht genau, vielleicht sind wir dafür zu hibbelig, das ist eine Frage, die ich dir glaube ich gar nicht so gut beantworten kann. Ich bin mir sicher, dass es das bestimmt irgendwann mal gibt, aber wir hatten bisher nicht den Ansatz, wo wir das durchgezogen haben, wo sich das richtig angefühlt hat. Häufig ist es dann doch so, dass wir rumprobieren und dann denken „Wenn da jetzt noch Bass und Schlagzeug zu kommt, dann bockt das irgendwie mehr“ (lacht). Es hat sich einfach nicht ergeben, ich hab aber auch nicht das Gefühl, dass wir das auf einer Platte bisher irgendwo gebraucht hätten. Ich meine, das ist total subjektiv, aber wir haben uns da als Band immer gegen entschieden. Wir sind, glaube ich, wirklich mit dem Intro am nächsten dran, da ist kein Schlagzeug, das ist nur Jakob an einem riesigen Flügel mit dem Kaiser Quartett. Balladiger waren wir nie!
Für dieses Album habt ihr zum ersten Mal mit dem Hit Produzenten Markus Ganter zusammen gearbeitet, gibt es etwas Zentrales, das ihr daraus mitnehmen konntet?
Ja, ganz viel! Man muss das jetzt gut formulieren, weil ich auf keinen Fall will, dass es so klingt, als wären wir unzufrieden mit Helge und Christian, mit denen wir die ersten beiden Alben produziert haben. Aber bei Markus war halt vieles einfach im Ansatz entspannter, das liegt aber vielleicht auch einfach daran, dass wir die Möglichkeit hatten, mit ihm noch mal neu anzufangen und von vornherein die Möglichkeit hatten, einen neuen Ansatz zu wählen. Früher waren wir immer sehr picky, dass alles highendmäßig in einem Studio aufgenommen wird und wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass es das beste Equipment ist, das dann teilweise auch für viel Geld zusammengeliehen wurde, nur um dann den Gesang aufzunehmen. Jetzt haben wir uns dazu entschieden, dass wir diese technische Facette hier und da ein bisschen „Vernachlässigen“, was man im Endeffekt überhaupt nicht hört, dafür uns aber viel mehr Komfort zu verschaffen. Wir haben zum Beispiel den Gesang bei uns zu Hause in Kiel im Studio aufgenommen und nicht unter Zeitdruck in Berlin oder Leipzig. Das schafft so Druck, dann hast du nur fünf Tage Zeit, um die Lieder einzusingen. Wir haben das einfach hier zu Hause gemacht, häufig waren Jakob und ich nur zu zweit hier, manchmal sogar Jakob auch nur alleine und dann haben wir das hier für uns gemacht. Dieser modernere Producer-Ansatz war halt ganz neu für uns, wir haben lieber dafür sorgt, dass der Vibe stimmt und haben dafür drei Prozent von dieser Technik Neurose weggenommen (lacht). Wir haben ja trotzdem gutes Zeug, aber vielleicht nicht Boutique-Unique-Kram, den es nur noch zwei Mal auf der Welt gibt. Und sonst ist Markus einfach so, dass er ein wahnsinniges Talent dafür hat, einem alles ganz bequem zu machen. Das tut Liedern wahnsinnig gut, dass man sie nicht unter Stress aufnimmt und unter Stress Entscheidungen fällen muss. Markus hat echt ein Talent dafür, so einen Aufnahmeprozess zu managen, ohne dass man merkt, dass das alles gemanagt wird, das habe ich noch nie erlebt. Das ist die Champions League!
Ihr habt euch dazu entschieden, im Streaming Zeitalter euer mit 21 Songs bisher längstes Album zu veröffentlichen. Welchen Stellenwert hat das Format Album noch für euch?
Ey, für uns hat das einen riesigen Stellenwert. Ich finde, jeder soll es machen, wie er oder sie möchte. Aber ich höre Alben, ich habe immer Alben gehört. Ich glaube, Streamingmäßig ist es doof (lacht), ich glaube, der moderne Ansatz, das zeigt sich vor allem auch im HipHop, ist es nur Singles oder Ep’s zu machen und schnell viel rauszuhauen. Für uns sind Alben aber einfach wichtig, weil es eine Zusammenfassung ist, von gewissen Kapiteln, die irgendwie auch zusammen gehören, ähnlich wie bei einem Konzert gibt es da auch einen Anfang und ein Ende und alles steht in einem Zusammenhang miteinander. Ich will da überhaupt nicht altmodisch sein, aber ich glaube, wir werden diesem Format treu bleiben. Irgendwie haben wir zu viel zu erzählen, um das voneinander separiert in einzelnen Songs auszudrücken. Ich muss auch ehrlich sein, dass ich von Leuten, die nie Alben rausbringen nach ‘ner Zeit was vermisse. Es gibt schon Künstler:innen, bei denen ich denke, dass ich das jetzt gerne mal mehr hören würde. Auch das was ich mit dieser Dramaturgie eben gesagt habe, du hast ja viel weniger Platz so was aufzubauen wenn du nur einen Song raus haust, dann kannst du gar nicht so facettenreich sein, oder es wird dann halt ein sau anstrengendes Lied (lacht). Für uns ist es klar, dass es ein Album sein muss, ich hoffe aber, dass man uns das nicht als altmodisch auslegt.
Überhaupt nicht! Ich war selber völlig verwundert, als ich die Diskussion über diese Debatte zum ersten Mal mitbekommen habe, weil für mich Alben auch total dazu gehören, auch als Hörerin. Wenn ich Künstler:innen gerne mag, höre ich ja auch gerne viel Musik von denen.
Total! Ich glaub, man darf da auch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, es gibt bestimmt viele Künstler:innen für die Alben nicht infrage kommen, weil sie vielleicht auch ganz andere Ziele haben. Ich liebe Streaming! Ich finde alles an Spotify und Co. Toll, für uns ist es das größte Geschenk ever. Aber es macht keinen Sinn uns dort mit Leuten zu vergleichen, die so astronomische Zahlen erreichen, dadurch, dass sie playlistengerechte Singles pitchen. Das findet nur beides zufällig auf Spotify statt, aber die Leute die mit unserer Musik was anfangen können, können damit meistens auch im Gesamtpaket was anfangen. Ich glaube ein Großteil unseres Publikums hört tatsächlich Alben.
Im Pressetext steht, dass ihr eine erstaunlich nahbare Band seid, ich glaube, das kann auch jeder Fan so bestätigen! Ihr habt diesem Image allerdings jetzt noch mal die Krone aufgesetzt, indem ihr ein Konzert Telefon eingerichtet habt, auf dem ihr mit Fans kommuniziert, sei es per Nachricht oder per Voice Call. Wie kam es zu dieser Idee und wie ist es für euch so eng mit den Fans zu kommunizieren?
Für uns ist das großartig. Wir brauchen das, wir lieben das, wir lieben auch die Leute, die auf die Konzerte kommen, ohne die wäre das alles nichts wert. Das ist wirklich so, das gibt uns wahnsinnig viel. Wir sind halt davon ausgegangen und es hat sich auch so bewahrheitet, dass der Kontakt mit den Leuten auf diesen Konzerten nicht stattfinden kann und dann war das halt die naheliegendste Konsequenz, so diesen Kontakt zu den Menschen zu haben, die auf der anderen Seite der Zäune stehen. Mit denen wollen wir ja reden! Wir sind total froh, dass die da sind, ich kann das nur noch mal betonen, für uns ist das wirklich alles andere als selbstverständlich. Für diejenigen, für die das selbstverständlich geworden ist, für die habe ich eigentlich nur Mitleid. Wir freuen uns da jeden Abend drüber und freuen uns auch wenn wir mit den Menschen ein bisschen ins Gespräch kommen können. Wir freuen uns ja auch total, wenn Leute was kaufen, das darf man ja nicht so richtig sagen, aber es ist wirklich nicht selbstverständlich, dass Leute da kommen und ihr Taschengeld für ein
T-Shirt oder eine Platte von uns ausgeben, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, dass da jemand kommt, sich das kauft und zu Hause anhört. Um da irgendwie, aus ganz egoistischen Gründen, möglichst viel von mitzubekommen, haben wir halt dieses Telefon gestartet (lacht).
In vergangen Interviews habt ihr schon oft erzählt, dass ihr alle sehr perfektionistisch veranlagt seid und euch oft über Kleinigkeiten beim Songwriting streitet. Gab es jemals eine Situation in der ihr überlegt habt das ganze einfach zu lassen und aufzuhören?
Pff, zwei Mal die Woche mindestens (lacht). Es gibt dann irgendwann den Punkt, entweder lenkt irgendjemand ein und der Streit wird nicht riesig, oder mindestens zwei Leute haben riesige Holzköpfe und dann ist es fast unlösbar. Dann dauert es lange (lacht). Das ist jedes Mal anders, an ganz unterschiedlichen Stellen, völlig unvorhersehbar, crashen da zwei Sturköpfe gegeneinander, doch das haben wir ständig. Dann wird viel gestritten, moderiert, vermittelt, bis es irgendwie gelöst ist (lacht). Aber ich muss sagen, dass unser Umgang damit besser geworden ist, auch wenn es nicht weniger geworden ist, auch dadurch, dass wir’s schon mit zwei Alben durchgemacht haben. Wir wissen immer, es gibt irgendwie eine Lösung. Das wir daran zerbreche, das Gefühl ist in Wahrheit nicht da, auch wenn man es im Affekt manchmal denkt, aber ich glaube, da sind wir so streiterfahren, dass es nicht mehr so dramatisch ist (lacht).
Bisher habt ihr noch nie Features mit anderen Künstler*innen auf euren Alben gemacht, auf diesem Album sind es mit Pabst, Ilgen-Nur und Drangsal direkt drei mega Kollaborationen! Ist bei der Produktion dieser Songs etwas ganz anders gelaufen als bei euren „Solo“ Songs?
Ja voll, also für uns war es was total Neues. Für uns hat es sich sehr mutig angefühlt, für andere ist das glaube ich selbstverständlich, aber auch das ist wieder so eine Sache, die wir niemals gemacht hätten, wenn wir weniger Zeit gehabt hätten. Es sind ja auch nur Leute, auf die wir richtig Bock hatten, es ist wirklich drei Mal ein Traum wahr geworden, dadurch, dass wir mit diesen Menschen was auf unserer Platte machen konnten. Auf diesem Album mit 21 Liedern war auf einmal Platz dafür, also wir haben Platz dafür gemacht, weil wir das irgendwie einrichten konnten und mit viel Hin und Her ausgewogen hinbekommen konnten. Uns war es auch wichtig, dass alles in diesem Album Kontext stattfindet und nicht abseits der Alben mit einem mal diese Featuredinger da sind. Wir haben es auch nicht dem Zufall überlassen, mit wem wir das machen. Wenn man jemanden fragt, bekommt man wahrscheinlich auch viele Vorschläge, mit wem man da mal was machen sollte.
Aber da wären die drei auch hundertprozentig ganz oben mit dabei gewesen!
Es sind ja auch einfach Freund:innen von uns, also wirklich lange, gute Freund:innen. Das hätten wir nicht gemacht, wenn Pabst jetzt eine Band gewesen wäre, die wir zwar cool finden, aber nicht kennen. Das sind halt schon alles Leute, mit denen gehen wir auch gerne Bier trinken, wenn man es darf (lacht).
Was sind eure weiteren Pläne dieses Jahr, nachdem das Album endlich draußen ist?
Jetzt ist natürlich erst mal Album, Album, Album, wir freuen uns sehr, ich freue mich auch wahnsinnig doll, dass es jetzt auch wirklich mal ums Album geht, weil wir damit jetzt seit fast zwei Jahren beschäftigt sind. Es ist halt insane, dass Leute das jetzt auf einmal hören und mit uns drüber sprechen, für uns ist das ja so gesehen nichts Neues, die Lieder kennen wir jetzt schon lange.
Ja, aber trotzdem voll der große Teil eures Lebens, über den ihr noch gar nicht geredet habt oder?
Ja genau! (lacht) Es ist heute tatsächlich das erste Mal, dass ich mit jemandem darüber spreche die nicht in der Band oder aus dem näheren Umfeld ist! Ich hoffe, dass wir dieses Jahr noch, sobald das Album draußen ist, Konzerte spielen. Ich will das nicht so prognostizieren, weil kein Mensch weiß, was passiert, aber ich kann verraten, dass wir sobald es irgendwie erlaubt sein sollte, solche Konzerte wie wir neulich in Freiburg gespielt haben, spielen wollen. Konzerte in Clubs, ohne Abstandsregeln packed vor der Bühne, dann kann uns glaube ich nichts mehr halten. Dann packen wir ohne große Umwege einfach alles in den erstbesten Sprinter und fahren einfach auf Tour, wie wir das vor vier Jahren gemacht haben. Ich würde gerne einfach Konzerte in Lieblingsläden von uns spielen, vor 200-350 Leuten, in dieser Größenordnung. Die große Tour spielen wir nächstes Jahr, und wenn dann auch wieder Festivals stattfinden, spielen wir hoffentlich auch wieder große Festivals. Aber ich glaube, nach dieser Pandemie wird alles wieder ein bisschen kleiner anfangen und da kann uns gar nichts mehr halten (lacht). Ich hoffe, dass das passiert! Ich mag das aber nicht ankündigen, weil wir niemals unvorsichtig werden würden, wir würden niemals Konzerte spielen wollen, wenn es kritisch ist. Wir wollen das echt nur, wenn es geht und wenn man das auch wirklich ohne schlechtes Gefühl im Hinterkopf machen kann.
Redaktionelle Anmerkung:
Die von Lennart erwähnten Club Konzerte werden leider aufgrund der Lage, die sich seit dem Interview wieder deutlich verschlechtert hat, nicht stattfinden.
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