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  • AutorenbildEmely Triebwasser

Trümmer - INTERVIEW

Am 17. September veröffentlichte die Band Trümmer nach fünf Jahren Stille ihr drittes Album Früher war gestern. Kurz vor der Veröffentlichung traf ich Frontsänger Paul Pötsch zum Interview, wir redeten über den Entstehungsprozess der Platte, Weltschmerz und darüber, ob Deutschland wirklich noch eine weitere, rein männliche Indie Band braucht. Enjoy!


Hi! Wie gehts dir heute und wie waren die letzten Monate für dich und euch als Band?


Hey! Die letzten Monate waren eigentlich ganz schön, weil wir unsere Platte aufgenommen haben! Das war ganz geil und ich bin total froh, dass es jetzt endlich wieder los geht, wir die ersten Songs veröffentlichen und die ersten Reaktionen von Leuten reinkommen, die sich freuen, dass es uns gibt (lacht).


Immer noch gibt vor allem! Da hat ja fast niemand mehr mit gerechnet!


Ja, genau! Wir haben uns ja nie aufgelöst, das stand nie zur Debatte! Aber es kommt wirklich gutes Feedback und das freut uns natürlich total.


Voll schön! Hattet ihr auch Angst, dass die Leute sich nicht mehr für euch interessieren?


Nö, Angst nicht, so viel Selbstvertrauen haben wir dann schon (lacht). Aber für Musikindustrie Verhältnisse war es schon eine lange Zeit, wir haben jetzt fünf Jahre nichts gemacht und ich glaube, unter wirtschaftlichen Aspekten ist das eigentlich Suizid. Aber wir waren ja nie eine Band, die alles nach dem Reißbrett entworfen hat. Wir waren von Anfang an vier Freunde, die zusammen ihr Ding machen und das machen, worauf sie Lust haben. Insofern hatten wir keine Angst, aber man hat natürlich schon Respekt davor, weil es so eine lange Zeit war.


Credits: Tim Erdmann

Bald erscheint euer drittes Album Früher war gestern, wie fühlst du dich so kurz vor diesem ersten Release nach 5 Jahren und was für Erwartungen hast du/ihr?


Ich bin unglaublich aufgeregt, weil ich die Platte selber einfach gut finde und ich mich freue sie den Leuten zu zeigen (lacht). Deshalb bin ich wahnsinnig gespannt auf die Reaktionen!


Wie würdest du eure musikalische Entwicklung seit dem letzten Album beschreiben?


Gerade ist die Entwicklung ja quasi zwei Schritte zurück und einer nach vorne. Wir haben jetzt drei Alben, das erste war sehr punkig, hatte auch einen krassen Hype, das zweite war dann etwas poppiger und experimenteller und das dritte ist jetzt eher back to the roots. Also wir knüpfen da an, wo wir herkommen, sind aber trotzdem natürlich älter geworden und haben uns weiterentwickelt. Auch was Songwriting, Texte, Themen und Zusammenspiel anbelangt. Eine Band ist ja auch ein soziales Gefüge, man kennt sich besser, das heißt, dass man viel besser miteinander arbeiten kann und weiß, wer welche Aufgaben hat. Also die neuen Songs sind sozusagen die großen Brüder und Schwestern der Songs auf dem ersten Album.


Schon auf der Debütplatte wart ihr extrem politisch, das habt ihr euch bewahrt, war das von Anfang an klar für euch oder hat sich das irgendwann entwickelt?


Wir sind ja aus Hamburg, aus der Szene um den Golden Pudel Club herum. Das ist ein Club, den es schon seit den 70ern gibt, der aus einem besetzen Haus entstanden ist. Da sind sehr viele Leute, die versuchen, Musik mit politischen Themen zu verbinden. In Hamburg war Punk immer riesig, aber auch HipHop, zum Beispiel die Beginner sind Leute, die aus dem Antifa Umfeld kommen. Deshalb liegt es automatisch in der Luft und man macht sich automatisch Gedanken, was man mit Songtexten in diese Richtung machen kann. Man ist sich seiner Verantwortung bewusst, wenn man einen Text schreibt. Wir haben außerdem viel Einfluss von Bands wie The Clash, die es ja auch immer geschafft haben, knackige drei Minuten Songs zu schreiben, die trotzdem eine politische Botschaft haben.


Es ist ja auch nicht immer einfach, so wichtige Themen, in so einen kurzen Song zu packen!


Das kann auch schnell wahnsinnig peinlich werden! Das ist die Kehrseite der Medaille, manchmal ist die Message in politischer Musik so stark, dass sie die eigentliche Musik überlagert. So, dass man sich am Ende denkt, dass die jeweiligen Künstler:innen darüber vielleicht lieber ein Buch hätten schreiben sollen (lacht). Das ist der Spagat, der dabei sehr schwierig ist. Aber bei dieser Platte finde ich, dass sie nicht nur politisch ist, sie ist auch sehr privat, verletzlich und emotional, das ist mir im Moment mindestens genauso wichtig, wie der politische Aspekt.


Ist es Zufall, dass das Album, mit so vielen wichtigen politischen Statements und Denkanstößen, so kurz vor der Bundestagswahl erscheint?


Absoluter Zufall! Aber natürlich ein sehr willkommener und sehr guter Zufall. Wir werden auch kurz vor den Wahlen noch mal was machen. Kleine Wahlempfehlungen in Form eines Songs (lacht). Also natürlich nicht für eine spezielle Partei, sondern für ein Mindset!


Vor allem der Opener fängt die Livestimmung von Trümmer extrem gut ein, war euch das in der Corona Zeit ein Anliegen?


Das spielt unterbewusst mit rein, das ist nichts, was man sich vornimmt. Ich finde es auch schwer zu sagen, dass wir jetzt eine Platte über Corona machen wollen, für mich persönlich ist das noch gar nicht weit genug weg, als dass man das künstlerisch sinnvoll begreifen kann. Die Auswirkungen davon werden wir alle erst in ein paar Jahren richtig verstehen. Bei der letzten Platte hat jeder seine Spuren für sich aufgenommen, das erschien uns im Nachhinein wahnsinnig steril und langweilig. Deshalb wollten wir dieses Livegefühl einfangen und haben alle gemeinsam in einem Raum auf einem Hof in Schleswig-Holstein aufgenommen. Es sollte möglichst echt klingen, als ob man direkt davor steht. Man hört auf der Platte auch ganz viele Nebengeräusche, Türen, die zugehen, jemand, der einen Stuhl verrückt, das haben wir alles drauf gelassen.


Dann habt ihr ja witzigerweise die zweite Platte quasi so aufgenommen, wie die meisten Künstler:innen unter den Coronabedingungen!


Stimmt! Wir wollten auch eigentlich im Januar schon aufnehmen, aber unser Schlagzeuger, der Arzt ist, hat sich mit Corona infiziert und dann hatten wir das alle! Daraufhin haben wir die Aufnahme um drei Monate verschoben, was aber eigentlich ganz lustig war, weil wir das Haus dann so eingerichtet haben, dass jeder in seinem eigenen Zimmer sitzt und über Mikrofon und Kopfhörer weiter mit den anderen kommuniziert hat (lacht). Wir haben einfach weitergearbeitet und da tatsächlich auch einen Song unter total beschissenen Bedingungen gemacht!



Zwischen eurer letzten Platte und dieser liegen nun wie gesagt 5 Jahre, wann habt ihr angefangen an Früher war gestern zu arbeiten und ist das auch schon mit der Pandemie kollidiert?


Ne, Ende 2019 habe ich schon die ersten Songs geschrieben!


Habt ihr denn bei den Aufnahmen noch mehr Probleme damit gehabt, gerade was Lockdowns und Kontaktbeschränkungen angeht?


Das hat uns eigentlich eher in die Hände gespielt, als der Lockdown losging, waren wir gerade alle in Berlin und konnten deshalb jeden Tag proben.


Also hattet ihr all over wahrscheinlich auch viel mehr Zeit als ursprünglich geplant oder?


Das Ding ist, dass wir diese Zeit eh zum proben terminiert haben, das stand schon fest im Kalender. Am Anfang hatte man ja auch einfach das Gefühl, dass man jetzt einfach ein bisschen mehr Zeit hat, sich auf Dinge zu konzentrieren, die einem Spaß machen und etwas runterzukommen (lacht).

Mittlerweile geht es einem nur noch auf den Sack und man hat gar keine Planungssicherheit mehr.

Das stresst alles extrem und ist super belastend. Ich hoffe wirklich, dass das jetzt bald besser wird und die Leute sich endlich impfen lassen.


In Wann wen nicht gleitet der Text von einem anfänglichen Pessimismus in ein Gefühl des Aufbruchs und des Zusammenhalts, fällt es dir/euch immer leicht, einen optimistischen Blick auf die Zukunft zu bewahren?


Ich persönlich bin schon ein Optimist und denke, dass die Dinge besser werden. Sonst würde ich, glaube ich, durchdrehen. Aber ich finde es zunehmend schwerer, dieses Gefühl aufrecht zu erhalten, wenn man sich mit Themen wie Klimawandel, den neuen Situationen in Afghanistan und so weiter beschäftigt. Oder auch der Rechtsruck, den ich hautnah mitbekomme, weil ich ursprünglich aus Brandenburg komme und in meiner eigenen Familie Personen sind, die die AFD Wählen. Das macht es schwierig, optimistisch zu bleiben, ich muss aber sagen, dass ich an Musik mag, wenn sie mir einen Trost gibt oder mich auffängt. Das will ich selbst auch mit der Musik herstellen, aber nicht auf eine stumpfsinnige „Hey, alles ist toll!“, Art und Weise, sondern auf eine „Ja, es ist schon schwierig, aber du schaffst das und wir gemeinsam bekommen es irgendwie auch hin!“, Art und Weise (lacht).

Unsere Generation und die, die noch jünger sind, sind ja wirklich die, die etwas verändern wollen. Leider sind wir aber zahlenmäßig unterlegen, weil es viel weniger junge als alte Menschen gibt.

Ihr seid alle auch außerhalb der Band extrem eingespannt, Helge als Produzent, Maximilian als Arzt usw., findet ihr da überhaupt Zeit, als Gruppe zusammenzukommen und wie managed ihr das?


Wir haben einfach eine Telegram Gruppe und proben blockweise. Als wir Anfang 20 waren, haben wir dreimal die Woche geprobt, das geht natürlich nicht mehr. Aber jetzt proben wir drei bis vier Tage am Stück und dadurch ist es viel konzentrierter als vorher, weil jeder vorbereitet ankommt und die Songs schon einigermaßen fertig sind, also eigentlich ist es gar nicht so schlecht (lacht).


Helge hat neben beispielsweise den ersten beiden Leoniden Alben auch euer eigenes Album produziert, wie läuft dieser Prozess bei euch ab? Gibts da oft Streit?


Wir haben selten so eine harmonische Zeit gehabt wie jetzt, das liegt aber auch daran, dass wir uns seit zehn Jahren kennen und wirklich alle Höhen und Tiefen durch haben. Der ganze Hype am Anfang, Echo-Nominierungen, Theatermusik, endlose Touren, Festivals, wir haben so viel Zeit auf engstem Raum miteinander verbracht und sind uns teilweise so krass an die Gurgel gegangen. Aber in einer echten Freundschaft ist das nun mal so, die hält und trägt das auch aus. Als wir nach dieser langen Zeit wieder angefangen haben zu proben, war das wirklich so, als ob man sich in alte Freunde neu verliebt. Das ist so ein schönes Gefühl. Man kennt die Macken der Leute und vor allem auch seine eigenen (lacht), deswegen kann man sehr gut miteinander arbeiten, wenn man sich schon so lange kennt. Insofern war das ein extrem harmonischer Prozess.


Im Pressetext steht, dass ihr euch auch mit dem Thema „Braucht es noch eine rein männliche Indie Band?“, beschäftigt habt, wie seid ihr das Thema angegangen und versucht ihr diese „Geschlechterungleichheit“ an anderen Stellen auszugleichen?


Ich hatte nach der zweiten Platte eine sehr intensive Phase, in der ich gedacht habe, dass mir das Konzept „Männerband“ künstlerisch nicht mehr interessiert. Ich konnte auch die Pressefotos einfach nicht mehr sehen, auf denen vier Typen ihre Maskulinität zur Schau stellen. Auch auf Tour kann das extrem nervig sein, auch wenn man selbst ein Mann ist. Man kommt in die Location, der Inhaber ist ein Mann, der Booker ist ein Mann, der Veranstalter ist ein Mann, der DJ ist ein Mann, alle sind Männer und das ist so nervig, weil Männer in einer Gruppendynamik oftmals super unangenehm sind. Ich hab in Hamburg eine Weile bei RockCity gearbeitet und meine Aufgabe war unter anderem die Festival Line Ups anzuschauen und auszurechnen, wie viel Prozent der Acts Männer sind.


Das sind meine Lieblingsstatistiken. Ich finde es so krass, dass das immer noch so ein großes Thema ist, obwohl es mittlerweile so viele tolle und erfolgreiche weibliche Acts gibt. Sie sind ja da, sie werden nur einfach nicht gebucht.


Ja, genau, du hast immer wieder die gleichen drei bis vier großen Namen auf den Festivals, aber das auch schon seit 10 Jahren. Das liegt daran, dass die Entscheidungsträger bei den großen Festivals ebenfalls Männer sind, die das Problem selber nicht sehen. Die Frage hat mich jedenfalls sehr umtrieben und ich kam da auch eine Zeit lang nicht weiter. Ich wollte nicht noch mehr Platz einnehmen. Witzigerweise habe ich genau zu dem Zeitpunkt Ilgen-Nur über gemeinsame Freunde in einer Kneipe kennengelernt und sie hat mir erzählt, dass sie Demos hat, die ich mir mal anhören soll. Die letzten drei Jahre haben wir das sehr intensiv aufgebaut und ich habe sehr viel von ihr gelernt! Es war auch gut, mal einen Schritt vom Mikrofon zurückzugehen, einfach nur Gitarre zu spielen und ihr einfach dabei zuzusehen, wie sie das macht. Sie hat mich sehr inspiriert, weil sie sehr emotionale Texte schreibt und sehr viel mit ihren eigenen Gefühlen arbeitet. Mittlerweile finde ich, dass Feminismus nicht nur eine Aufgabe der Frauen ist, sondern vor allem Aufgabe der Typen. Man kann auch als Mann davon profitieren, wenn man seine Rollenbilder hinterfragt und feststellt, dass man nicht immer nur der harte Macker sein muss, der vor allem auch im Rock-Genre idealisiert wird. Als ich das begriffen habe, konnte ich ganz anders schreiben und auch anders singen. Auf der Platte habe ich versucht, ganz soft und leise zu singen und hatte plötzlich ein ganz anderes Spektrum, auf dem ich mich ausprobieren konnte. Wir haben einen Text, in dem es darum geht, wie man abends an den Landungsbrücken in Hamburg steht und der Wind einem durch die Haare weht, da singe ich „Die Wellen kommen und ich bleibe stark, denn ich habe beschlossen, dass ich schwach sein darf.“. Durch das Eingestehen der eigenen Verletzlichkeit, kann man eine viel größere Stärke erlangen. Dann ging es auch plötzlich wieder, mit den Jungs Musik zu machen.


Was sind denn eure Pläne, sobald das Album veröffentlicht wurde?


Ich hoffe, dass wir im November auf Tour gehen können. Wenn das nicht klappt, bekomme ich echt schlechte Laune (lacht). Die Pläne sind wirklich, diese Konzerte gut zu spielen und die Leute mitzureißen, die hoffentlich kommen (lacht). Ansonsten bin ich tatsächlich schon am weiterschreiben!


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